Leinölfarben: Jeckyll & Hyde

Schimmel oder Schummeln – Leinölhersteller gibt Rätsel auf

„Wir wuss­ten nicht, auf was wir uns ein­las­sen. Trotz­dem wür­den wir vie­les wie­der ge­nau­so ma­chen.“ So fan­gen Ge­schich­ten von Käu­fern al­ter Häu­ser sehr häu­fig an, wenn das neue Heim mit Be­dacht und Sorg­falt, ja viel­leicht so­gar in Über­ein­stim­mung mit dem Denk­mal­schutz er­hal­ten wer­den soll. War­um hät­te es uns also an­ders ge­hen sollen?

Ja, auch wir wuss­ten nicht, auf was wir uns ein­lies­sen. Aus heu­ti­ger Sicht: ge­schenkt. Wie oft im Le­ben hat man ir­gend et­was ge­macht, ohne die Fol­gen zu be­den­ken, ja über­haupt ken­nen zu kön­nen? Und das mit dem „wie­der so ma­chen“, ist das nicht häu­fig ein Selbst­be­trug, der das ei­ge­ne Han­deln recht­fer­tigt, nach­träg­lich gut heißt?

Also, in ei­ner Sa­che, da weiss ich heu­te: Das wür­de ich an­ders ma­chen. Ich wür­de den Her­stel­ler des Lein­öls wechseln.

Die Ge­schich­te dazu wird ver­mut­lich meh­re­re Fort­set­zun­gen ha­ben. Be­gon­nen hat sie ei­gent­lich schon bei der Erst­be­sich­ti­gung, aber das wuss­ten wir da­mals noch nicht.

Das geht gar nicht!

alte Zementschindeln

Die al­ten Ze­ment­schin­deln sind aus den acht­zi­ger Jahren.

Ei­nes war von An­fang an klar: Die West­sei­te des Wohn­hau­ses, das wir in Völz­berg, ei­nem klei­nen Dorf in der Re­gi­on Vo­gels­berg, kau­fen woll­ten, die wür­de so nicht blei­ben! Also ent­fern­ten wir be­reits im Som­mer 2011, un­se­rem ers­ten Re­no­vie­rungs­jahr, die häss­li­chen Ze­ment­schin­deln vom Gie­bel. Asbest ent­hiel­ten sie zum Glück nicht, so dass wir die Ar­beit selbst vor­neh­men konnten.

Als Er­satz hat­ten wir die hier im Vo­gels­berg ty­pi­schen Wett­bret­ter und Schin­deln vor­ge­se­hen. In der Re­gel sind die­se aus Bu­che, häu­fig un­be­han­delt, aber man fin­det auch vie­le ge­stri­che­ne Wän­de aus die­sem Material.

Ein Sä­ge­werk aus der na­hen Rhön lie­fer­te das Holz. Die Lein­öl­far­ben wur­den bei ei­nem klei­nen deut­schen Un­ter­neh­men be­stellt. Ich hat­te die Si­tua­ti­on de­tail­liert ge­schil­dert und man hat­te auf al­les Ant­wor­ten. Di­ver­se Te­le­fo­na­te mit die­sem Lein­öl­her­stel­ler lie­ßen da­mals kei­ne Fra­gen of­fen, die ich — lai­en­haft — stel­len konn­te. Freund­lich und hilfs­be­reit war man und emp­fahl letzt­lich eine Lö­sung aus Grun­die­rung, Far­be und UV-Schutz. Der Ein­druck von Kom­pe­tenz wur­de ohne Zwei­fel vermittelt.

Ein Sommer mit Leinöl

Wettbrettstreichen im Sommer

Wett­brett­strei­chen: Ei­nen Som­mer lang wur­de vorgestrichen.

Wie im­mer reich­te al­ler­dings die Zeit nicht mehr und die ei­gent­li­che Ar­beit be­gann erst im Mai 2012. In der Fol­ge ver­brach­ten wir den Som­mer da­mit, Wett­bret­ter und Schin­deln beid­sei­tig mit Lein­öl zu grun­die­ren. Nach der Trock­nungs­zeit wur­den auf der Sicht­sei­te zwei Farb­an­stri­che auf­ge­bracht, denn das Holz wür­de sich na­tür­lich ver­zie­hen und wir woll­ten kei­ne un­an­sehn­li­chen, un­ge­stri­che­nen Rän­der. Di­ver­se Freun­de und Be­kann­te hal­fen bei die­ser schier end­lo­sen Arbeit.

Als das Ge­samt­werk schließ­lich im Herbst an der Wand war, folg­te ein wei­te­rer An­strich mit der Lein­öl­far­be so­wie die vom Her­stel­ler emp­foh­le­ne Schluss­be­hand­lung mit ei­nem UV-Schutz. Es sah toll aus! Der hel­le Farb­ton (nach dem NCS-Sys­tem an­ge­rührt: S 0505-Y30R) strahl­te in der Son­ne und ver­ström­te auch bei trü­bem Wet­ter ein an­ge­nehm freund­li­ches Bild. Welch ein Un­ter­schied zu den al­ten Ze­ment­schin­deln! Wir hat­ten eine gute Ent­schei­dung ge­trof­fen — dach­ten wir.

Veränderungen

Ir­gend­wie ver­än­der­te sich die Wett­brett­wand in den nächs­ten Mo­na­ten. Un­merk­lich zu­erst — denn wir schau­ten na­tür­lich nicht je­den Tag auf die De­tails — aber ir­gend­wann fie­len uns die Fle­cken auf. Dun­kel wa­ren sie und mach­ten im Lau­fe der Zeit aus der strah­len­den Wand eine mit Grau­schlei­er. Ob der wie­der ver­schwin­den würde?

Er ver­schwand nicht. Nach­dem Rei­ni­gungs­ver­su­che mit Was­ser und Schmier­sei­fe nichts fruch­te­ten, kon­tak­tier­te ich den Her­stel­ler der Lein­öl­far­be. Ich er­hielt den Rat, die Wand mit ei­nem chlor­hal­ti­gen Mit­tel und ei­nem Schwamm zu rei­ni­gen. Eine even­tu­el­le Schim­mel­bil­dung wür­de da­mit be­kämpft wer­den können.

Schimmel: erste Wahl!

Leinöl: grauer Belag auf Schindeln

Nach ein paar Mo­na­ten: EIn grau­er Be­lag über­zog das mit Lein­öl ge­stri­che­ne Holz.

Schim­mel­bil­dung! Wir hat­ten das Wort „Schim­mel“ bis­her ver­mie­den. „Fle­cken“ klang ir­gend­wie hoff­nungs­vol­ler, kon­trol­lier­bar durch Haus­mit­tel und in­ten­si­ves Schrub­ben. Und nun sprach der Farb­her­stel­ler gleich von Schim­mel und Che­mie — ohne ein Foto an­ge­schaut oder eine Ma­te­ri­al­pro­be in der Hand ge­habt zu haben!

Zum Glück hat­te der Dach­de­cker ge­ra­de sein Ge­rüst auf­ge­baut, so dass die bes­te Part­ne­rin von al­len flä­chen­de­ckend an die Ar­beit ge­hen konn­te: Ein Schuss Chlo­rix ins Was­ser, ein han­dels­üb­li­cher Schwamm, Schutz­hand­schu­he und er­neut viel Zeit wur­den ein­ge­setzt. Das Er­geb­nis: Ein we­nig bes­ser sah es aus, aber es war noch weit ent­fernt von dem, was wir uns vorstellten.

Trotz al­ler Ak­ti­vi­tät war uns nach wie vor un­klar, um was es sich bei dem Grau­schlei­er han­deln könn­te. Eine ein­fa­che, ober­fläch­li­che Ver­schmut­zung hät­te durch die Rei­ni­gung ent­fernt wer­den müs­sen. Wenn es also kein „nor­ma­ler“ Schmutz war, was war es dann? Viel­leicht brauch­te die Chlor­be­hand­lung ja ein­fach ihre Zeit und der — viel­leicht doch vor­han­de­ne — Schim­mel wür­de im Lauf der Zeit zurückgehen?

Er ging nicht — und viel­leicht war es ja auch kei­ner. Wir wa­ren wei­ter­hin rat­los. Ein Jahr spä­ter sah die Wand schlim­mer aus als zu­vor. Es muss­te et­was geschehen.

Auf der Denkmalmesse Leipzig

Denkmalmesse Leipzig

Zu Be­such auf der Denk­mal­mes­se in Leip­zig — mit ei­ner Schindelprobe.

An­fang No­vem­ber 2014 ent­schie­den wir uns, mit ei­nem Holz­stück un­se­rer Wett­brett­wand zur Denk­mal­mes­se nach Leip­zig zu fahren.

Neu­gie­rig frag­ten uns Ver­käu­fer und Fach­leu­te an den Lein­öl­stän­den nach der Her­kunft der Lein­öl­far­be, wäh­rend sie das schmut­zi­ge Stück Holz mit Kopf­schüt­teln in den Hän­den dreh­ten. Na­tür­lich nann­ten wir kei­nen Na­men. Le­dig­lich das Her­kunfts­land der Far­be ga­ben wir Preis: Deutschland.

An meh­re­ren Stän­den leg­te man sich fast fest: Das sehe aus wie Schim­mel. Sehn­suchts­voll blick­ten wir auf die wun­der­ba­ren, sat­ten Lein­öl­flä­chen, die uns über­all ent­ge­gen­glänz­ten. So ähn­lich hät­te es ei­gent­lich auch bei uns aus­se­hen sol­len. Statt des­sen hiel­ten wir ein Stück Holz in der Hand, das ei­nen arm­se­li­gen Ein­druck hin­ter­ließ. Wäre die mit viel Auf­wand — fi­nan­zi­ell und zeit­lich — auf­ge­brach­te Far­be ein Stück Stoff, so hät­te ich sie als fa­den­schei­nig be­zeich­net. Und da drü­ben strahl­ten und prahl­ten die wun­der­bars­ten Lein­öl­flä­chen — mir kam es vor, als woll­ten sie uns verhöhnen.

Am Nach­mit­tag des lan­gen Mes­se­tags lan­de­ten wir auf der Vor­trags­flä­che: Der Ver­ein Lein­öl im Hand­werk prä­sen­tier­te dort in ei­nem en­ga­gier­ten Re­de­bei­trag — Lein­öl. Als die bes­te Part­ne­rin von al­len in der ab­schlie­ßen­den Fra­ge­run­de die klei­ne Schin­del in die Luft hielt und un­ser Pro­blem ins Mi­kro­fon schil­der­te, war die Be­trof­fen­heit des Vor­tra­gen­den, Vol­ker Mar­ten, groß. Woll­ten wir sei­nen Vor­trag, sei­ne Welt ma­dig ma­chen? Nun, wir konn­ten ihm klar­ma­chen, dass wir nicht das Pro­dukt Lein­öl dif­fa­mie­ren woll­ten, son­dern Hil­fe such­ten, so dass ein kon­struk­ti­ves Ge­spräch zu­stan­de kam.

Reaktionen

We­ni­ge Tage nach der Mes­se trat ich er­neut mit dem Farb­her­stel­ler in Kon­takt und schil­der­te ihm un­se­re Er­fah­run­gen aus Leip­zig. Er er­bat Fo­tos, die ich ihm schick­te. Als nächs­tes for­der­te er eine der be­trof­fe­nen Schin­deln an. Nach sei­ner Aus­sa­ge wür­de die von der Uni­ver­si­tät Han­no­ver untersucht.

Am 18. Fe­bru­ar 2015 kam dann eine eMail mit dem Ergebnis:

„Bei dem auf dem An­strich auf­lie­gen­den Be­lag han­delt es sich ein­deu­tig nicht, wie von ih­nen be­haup­tet um Schim­mel. Ihre Be­haup­tung un­se­re Lein­öl­far­be wür­de schim­meln ist er­wie­se­ner ma­ßen un­rich­tig. Da Sie be­reits auf der Denk­mal­mes­se in Leip­zig 2014 auf­ge­tre­ten sind und Ihre fal­sche Be­haup­tung dort ge­streut ha­ben, ist uns durch Ihr Ver­hal­ten be­reits ein er­heb­li­cher Scha­den ent­stan­den. In der An­nah­me, dass Sie zwar un­über­legt und vor­ei­lig, je­doch nicht vor­sätz­lich ge­han­delt ha­ben, bie­te ich ih­nen zur güt­li­chen Re­ge­lung an, die an­lie­gen­de Un­ter­las­sungs­er­klä­rung un­ter­schrie­ben bin­nen ei­ner Wo­che an mich zu­rück zusenden.“

Welch eine un­er­war­te­te Wen­de. Der bis da­hin im­mer sehr hilfs­be­rei­te Her­stel­ler stritt Schim­mel auf sei­nem Pro­dukt ab, ohne zu klä­ren, was der graue Be­lag denn sonst sein könn­te. Jeg­li­cher Nach­weis fehl­te, der Un­ter­su­chungs­be­richt des La­bors war nicht beigefügt.

Zu­dem be­haup­te­te der Her­stel­ler nun sei­ner­seits, ei­nen Scha­den er­lit­ten zu ha­ben. Die von ihm vor­ge­leg­te Un­ter­las­sung­er­klä­rung hat­te die­sen Inhalt:

„Ich, Franz Jer­mann, […] erkläre:

Mei­ne Be­haup­tung, die Fa. […] habe eine Far­be ge­lie­fert, die schim­melt oder auf der sich Schim­mel ge­bil­det habe ist falsch.

Ich wer­de die­se Be­haup­tung nie­mals und nie­man­den ge­gen­über wiederholen.

Im Fal­le der Zu­wi­der­hand­lung ver­pflich­te ich mich eine Ver­trags­stra­fe in Höhe von 5000,00 € (fünf­tau­send Euro) an die Fa. […] zu zahlen.“

Was treibt ei­nen Her­stel­ler, so zu re­agie­ren? Ist die­se Art der Vor­wärts­ver­tei­di­gung Aus­druck von Ver­wir­rung oder Kal­kül? Ich kann es nicht sa­gen. Für Ver­wir­rung spricht, dass er den Vor­na­men ei­nes lang­jäh­ri­gen Kun­den ver­hunzt. Für Kal­kül, dass er hofft, in Sa­chen Haf­tung nach Ab­ga­be der Er­klä­rung aus dem Schnei­der zu sein, weil der Kun­de ver­un­si­chert wird und klein­laut beigibt?

Nachgelegt

Auf­merk­sa­me Le­se­rin­nen und Le­ser wer­den es ah­nen: Ich habe die­se Un­ter­las­sungs­er­klä­rung nicht un­ter­zeich­net, denn es gibt schlicht kei­ne Ver­an­las­sung da­für: Zu kei­nem Zeit­punkt hat­te ich die Fle­cken als Schim­mel ein­ge­stuft. Das teil­te ich dem Her­stel­ler denn auch so mit, zu­sam­men mit der Bit­te um Über­sen­dung der Un­ter­su­chungs­er­geb­nis­se des Universitätslabors.

Die Ant­wort kam per eMail:

„Es ist für uns nicht von In­ter­es­se, wel­cher Art die spä­te­re Ver­schmut­zung auf Ih­rer Schin­del­ver­klei­dung ist. An­de­rer­seits ha­ben wir ein gro­ßes In­ter­es­se an der Ver­hin­de­rung der wei­te­ren Ver­brei­tung Ih­rer ge­schäfts­schä­di­gen­den und ab­we­gi­gen Be­haup­tung, die­se Ver­schmut­zung stün­de in ei­nem ur­säch­li­chen Zu­sam­men­hang mit un­se­rem Produkt.“

In wei­te­ren Aus­füh­run­gen wur­de mit Scha­dens­er­satz ge­droht und eine er­neu­te Frist zur Ab­ga­be der Un­ter­las­sungs­er­klä­rung ge­setzt. Im Fal­le der Nicht­un­ter­zeich­nung wür­de eine An­walts­kanz­lei ein­ge­schal­tet wer­den, wo­durch auf mei­ner Sei­te „Kos­ten entstünden“.

Forstsetzung folgt

Die Frist ist ab­ge­lau­fen, die Er­klä­rung — na­tür­lich! — nicht ab­ge­ge­ben. Wenn es nicht so trau­rig wäre, könn­te man der Fort­set­zung ge­spannt entgegenblicken.

Frank Jer­mann, im Juni 2015


 

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