„Wir wussten nicht, auf was wir uns einlassen. Trotzdem würden wir vieles wieder genauso machen.“ So fangen Geschichten von Käufern alter Häuser sehr häufig an, wenn das neue Heim mit Bedacht und Sorgfalt, ja vielleicht sogar in Übereinstimmung mit dem Denkmalschutz erhalten werden soll. Warum hätte es uns also anders gehen sollen?
Ja, auch wir wussten nicht, auf was wir uns einliessen. Aus heutiger Sicht: geschenkt. Wie oft im Leben hat man irgend etwas gemacht, ohne die Folgen zu bedenken, ja überhaupt kennen zu können? Und das mit dem „wieder so machen“, ist das nicht häufig ein Selbstbetrug, der das eigene Handeln rechtfertigt, nachträglich gut heißt?
Also, in einer Sache, da weiss ich heute: Das würde ich anders machen. Ich würde den Hersteller des Leinöls wechseln.
Die Geschichte dazu wird vermutlich mehrere Fortsetzungen haben. Begonnen hat sie eigentlich schon bei der Erstbesichtigung, aber das wussten wir damals noch nicht.
Eines war von Anfang an klar: Die Westseite des Wohnhauses, das wir in Völzberg, einem kleinen Dorf in der Region Vogelsberg, kaufen wollten, die würde so nicht bleiben! Also entfernten wir bereits im Sommer 2011, unserem ersten Renovierungsjahr, die hässlichen Zementschindeln vom Giebel. Asbest enthielten sie zum Glück nicht, so dass wir die Arbeit selbst vornehmen konnten.
Als Ersatz hatten wir die hier im Vogelsberg typischen Wettbretter und Schindeln vorgesehen. In der Regel sind diese aus Buche, häufig unbehandelt, aber man findet auch viele gestrichene Wände aus diesem Material.
Ein Sägewerk aus der nahen Rhön lieferte das Holz. Die Leinölfarben wurden bei einem kleinen deutschen Unternehmen bestellt. Ich hatte die Situation detailliert geschildert und man hatte auf alles Antworten. Diverse Telefonate mit diesem Leinölhersteller ließen damals keine Fragen offen, die ich — laienhaft — stellen konnte. Freundlich und hilfsbereit war man und empfahl letztlich eine Lösung aus Grundierung, Farbe und UV-Schutz. Der Eindruck von Kompetenz wurde ohne Zweifel vermittelt.
Wie immer reichte allerdings die Zeit nicht mehr und die eigentliche Arbeit begann erst im Mai 2012. In der Folge verbrachten wir den Sommer damit, Wettbretter und Schindeln beidseitig mit Leinöl zu grundieren. Nach der Trocknungszeit wurden auf der Sichtseite zwei Farbanstriche aufgebracht, denn das Holz würde sich natürlich verziehen und wir wollten keine unansehnlichen, ungestrichenen Ränder. Diverse Freunde und Bekannte halfen bei dieser schier endlosen Arbeit.
Als das Gesamtwerk schließlich im Herbst an der Wand war, folgte ein weiterer Anstrich mit der Leinölfarbe sowie die vom Hersteller empfohlene Schlussbehandlung mit einem UV-Schutz. Es sah toll aus! Der helle Farbton (nach dem NCS-System angerührt: S 0505-Y30R) strahlte in der Sonne und verströmte auch bei trübem Wetter ein angenehm freundliches Bild. Welch ein Unterschied zu den alten Zementschindeln! Wir hatten eine gute Entscheidung getroffen — dachten wir.
Irgendwie veränderte sich die Wettbrettwand in den nächsten Monaten. Unmerklich zuerst — denn wir schauten natürlich nicht jeden Tag auf die Details — aber irgendwann fielen uns die Flecken auf. Dunkel waren sie und machten im Laufe der Zeit aus der strahlenden Wand eine mit Grauschleier. Ob der wieder verschwinden würde?
Er verschwand nicht. Nachdem Reinigungsversuche mit Wasser und Schmierseife nichts fruchteten, kontaktierte ich den Hersteller der Leinölfarbe. Ich erhielt den Rat, die Wand mit einem chlorhaltigen Mittel und einem Schwamm zu reinigen. Eine eventuelle Schimmelbildung würde damit bekämpft werden können.
Schimmelbildung! Wir hatten das Wort „Schimmel“ bisher vermieden. „Flecken“ klang irgendwie hoffnungsvoller, kontrollierbar durch Hausmittel und intensives Schrubben. Und nun sprach der Farbhersteller gleich von Schimmel und Chemie — ohne ein Foto angeschaut oder eine Materialprobe in der Hand gehabt zu haben!
Zum Glück hatte der Dachdecker gerade sein Gerüst aufgebaut, so dass die beste Partnerin von allen flächendeckend an die Arbeit gehen konnte: Ein Schuss Chlorix ins Wasser, ein handelsüblicher Schwamm, Schutzhandschuhe und erneut viel Zeit wurden eingesetzt. Das Ergebnis: Ein wenig besser sah es aus, aber es war noch weit entfernt von dem, was wir uns vorstellten.
Trotz aller Aktivität war uns nach wie vor unklar, um was es sich bei dem Grauschleier handeln könnte. Eine einfache, oberflächliche Verschmutzung hätte durch die Reinigung entfernt werden müssen. Wenn es also kein „normaler“ Schmutz war, was war es dann? Vielleicht brauchte die Chlorbehandlung ja einfach ihre Zeit und der — vielleicht doch vorhandene — Schimmel würde im Lauf der Zeit zurückgehen?
Er ging nicht — und vielleicht war es ja auch keiner. Wir waren weiterhin ratlos. Ein Jahr später sah die Wand schlimmer aus als zuvor. Es musste etwas geschehen.
Anfang November 2014 entschieden wir uns, mit einem Holzstück unserer Wettbrettwand zur Denkmalmesse nach Leipzig zu fahren.
Neugierig fragten uns Verkäufer und Fachleute an den Leinölständen nach der Herkunft der Leinölfarbe, während sie das schmutzige Stück Holz mit Kopfschütteln in den Händen drehten. Natürlich nannten wir keinen Namen. Lediglich das Herkunftsland der Farbe gaben wir Preis: Deutschland.
An mehreren Ständen legte man sich fast fest: Das sehe aus wie Schimmel. Sehnsuchtsvoll blickten wir auf die wunderbaren, satten Leinölflächen, die uns überall entgegenglänzten. So ähnlich hätte es eigentlich auch bei uns aussehen sollen. Statt dessen hielten wir ein Stück Holz in der Hand, das einen armseligen Eindruck hinterließ. Wäre die mit viel Aufwand — finanziell und zeitlich — aufgebrachte Farbe ein Stück Stoff, so hätte ich sie als fadenscheinig bezeichnet. Und da drüben strahlten und prahlten die wunderbarsten Leinölflächen — mir kam es vor, als wollten sie uns verhöhnen.
Am Nachmittag des langen Messetags landeten wir auf der Vortragsfläche: Der Verein Leinöl im Handwerk präsentierte dort in einem engagierten Redebeitrag — Leinöl. Als die beste Partnerin von allen in der abschließenden Fragerunde die kleine Schindel in die Luft hielt und unser Problem ins Mikrofon schilderte, war die Betroffenheit des Vortragenden, Volker Marten, groß. Wollten wir seinen Vortrag, seine Welt madig machen? Nun, wir konnten ihm klarmachen, dass wir nicht das Produkt Leinöl diffamieren wollten, sondern Hilfe suchten, so dass ein konstruktives Gespräch zustande kam.
Wenige Tage nach der Messe trat ich erneut mit dem Farbhersteller in Kontakt und schilderte ihm unsere Erfahrungen aus Leipzig. Er erbat Fotos, die ich ihm schickte. Als nächstes forderte er eine der betroffenen Schindeln an. Nach seiner Aussage würde die von der Universität Hannover untersucht.
Am 18. Februar 2015 kam dann eine eMail mit dem Ergebnis:
„Bei dem auf dem Anstrich aufliegenden Belag handelt es sich eindeutig nicht, wie von ihnen behauptet um Schimmel. Ihre Behauptung unsere Leinölfarbe würde schimmeln ist erwiesener maßen unrichtig. Da Sie bereits auf der Denkmalmesse in Leipzig 2014 aufgetreten sind und Ihre falsche Behauptung dort gestreut haben, ist uns durch Ihr Verhalten bereits ein erheblicher Schaden entstanden. In der Annahme, dass Sie zwar unüberlegt und voreilig, jedoch nicht vorsätzlich gehandelt haben, biete ich ihnen zur gütlichen Regelung an, die anliegende Unterlassungserklärung unterschrieben binnen einer Woche an mich zurück zusenden.“
Welch eine unerwartete Wende. Der bis dahin immer sehr hilfsbereite Hersteller stritt Schimmel auf seinem Produkt ab, ohne zu klären, was der graue Belag denn sonst sein könnte. Jeglicher Nachweis fehlte, der Untersuchungsbericht des Labors war nicht beigefügt.
Zudem behauptete der Hersteller nun seinerseits, einen Schaden erlitten zu haben. Die von ihm vorgelegte Unterlassungerklärung hatte diesen Inhalt:
„Ich, Franz Jermann, […] erkläre:
Meine Behauptung, die Fa. […] habe eine Farbe geliefert, die schimmelt oder auf der sich Schimmel gebildet habe ist falsch.
Ich werde diese Behauptung niemals und niemanden gegenüber wiederholen.
Im Falle der Zuwiderhandlung verpflichte ich mich eine Vertragsstrafe in Höhe von 5000,00 € (fünftausend Euro) an die Fa. […] zu zahlen.“
Was treibt einen Hersteller, so zu reagieren? Ist diese Art der Vorwärtsverteidigung Ausdruck von Verwirrung oder Kalkül? Ich kann es nicht sagen. Für Verwirrung spricht, dass er den Vornamen eines langjährigen Kunden verhunzt. Für Kalkül, dass er hofft, in Sachen Haftung nach Abgabe der Erklärung aus dem Schneider zu sein, weil der Kunde verunsichert wird und kleinlaut beigibt?
Aufmerksame Leserinnen und Leser werden es ahnen: Ich habe diese Unterlassungserklärung nicht unterzeichnet, denn es gibt schlicht keine Veranlassung dafür: Zu keinem Zeitpunkt hatte ich die Flecken als Schimmel eingestuft. Das teilte ich dem Hersteller denn auch so mit, zusammen mit der Bitte um Übersendung der Untersuchungsergebnisse des Universitätslabors.
Die Antwort kam per eMail:
„Es ist für uns nicht von Interesse, welcher Art die spätere Verschmutzung auf Ihrer Schindelverkleidung ist. Andererseits haben wir ein großes Interesse an der Verhinderung der weiteren Verbreitung Ihrer geschäftsschädigenden und abwegigen Behauptung, diese Verschmutzung stünde in einem ursächlichen Zusammenhang mit unserem Produkt.“
In weiteren Ausführungen wurde mit Schadensersatz gedroht und eine erneute Frist zur Abgabe der Unterlassungserklärung gesetzt. Im Falle der Nichtunterzeichnung würde eine Anwaltskanzlei eingeschaltet werden, wodurch auf meiner Seite „Kosten entstünden“.
Die Frist ist abgelaufen, die Erklärung — natürlich! — nicht abgegeben. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man der Fortsetzung gespannt entgegenblicken.
Frank Jermann, im Juni 2015
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