Wettbretter werden in der Vogelsbergregion mindestens seit dem 19. Jahrhundert benutzt. Man findet sie auch heute noch an vielen Gebäuden. Solche Wände heben sich mit ihrem individuellen Erscheinungsbild wohltuend von der industriell gefertigten, langweiligen Einheitsfassade ab. Zusammen mit kleinformatigen Schindeln, die häufig in Kombination mit Wettbrettern um Fenster herum und an anderen Anschlüssen zu finden sind, prägen sie viele alte Häuser in der Vogelsbergregion.
Neben dem wunderbaren Anblick hatten Wettbrettwände aber natürlich auch eine Aufgabe. Sie dienten dem Wetterschutz und hierbei waren sie vor allem wichtig gegen Schlagregen in den etwas rauheren Regionen der Mittelgebirge.
Wie haltbar diese Wandverkleidungen sind, kann man an manchen Scheunen sehen, an denen offensichtlich uralte Wettbrettwände den Schutz der Gebäude über viele Jahrzehnte gewährt haben — und die ersichtlich kaum oder nie gepflegt wurden. Das Kriterium für den Verfall waren oft die wegrostenden Nägel, nicht das Holz.
In der Nachkriegszeit waren die Menschen begeistert von den neuen Baustoffen. Schnell, billig und praktisch war die Devise. Umwelt- und Gesundheitsaspekte wurden vernachlässigt. Nicht nur im Bauwesen, auch in anderen Bereichen standen Wirtschaftlichkeit und Profit im Vordergrund.
So kam es, dass Asbestbeton, kunststoffbasierende Farben und andere neue Baustoffe ihren Siegeszug antreten konnten — ohne dass die Menschen auch nur ahnten, was sie sich in Sachen Gesundheit und den Gebäuden in Sachen Substanz antaten.
Heute muss man schon froh sein, wenn die zementbasierten Wandverkleidungen aus den 70er Jahren nicht asbestbelastet sind und mit viel Aufwand und für viel Geld entsorgt werden müssen. Nun, der Einsatz von Asbest ist mittlerweile verboten — andere Sünden wie isolierende Farben auf Fachwerk werden aber weiterhin begangen. Dass dadurch der Anblick unserer Gebäude und Dörfer verschandelt wird, scheinen viele Menschen nicht wahrzunehmen.
Heute werden Wettbrettwände häufig durch Boden-Deckelschalungen oder Stülpschalungen ersetzt. Der Charakter der Gebäude geht dabei verloren, wird aber kritiklos in Kauf genommen. Das wichtigste Argument ist meist der günstige Preis dieser Wandverkleidungen. Der wahre Grund dürfte allerdings sein, dass vielfach das handwerkliche Können nicht mehr vorhanden ist, um eine haltbare Wettbrettwand zu bauen. Jedoch: Was im Neubau noch eine besondere, rustikale Note sein mag, ist bei einem Haus von mehr als hundert Jahren eine Verschandelung.
Wenn „schnell-schnell“ und „billig-billig“ regieren, dann bekommt man, was der Handwerker kann: Spaxschrauben in Bauholz. Auf der Strecke bleibt unser Kulturerbe.
Ab und zu kann man es heute noch beobachten: Es werden wieder neue Wettbrettwände gebaut. Das ist sicher noch kein Trend, aber ein erfreulicher Anfang. Wie schön diese Wände sein können, belegen manche Beispiele auch bei uns in der Vogelsbergregion.
Allerdings: Nicht jedes Projekt ist ein voller Erfolg. Wer — wie ich — ohne Erfahrung und in Eigenleistung so eine Wand baut, der wird vermutlich ein paar Fehler machen. Trotzdem passt die neue Westwand an unserem Haus viel besser als die hässlichen Zementschindeln. Aber mit dem Wissen von heute wäre sie eben noch schöner geworden.
Fragen Sie also ruhig mal nach, wenn Sie eine Wettbrettwand in Auftrag geben oder gar selbst bauen wollen. Ich berate Sie gerne.
PS. Wir haben im Sommer 2016 ein kleines Forschungsprojekt zum Thema „Wettbretter“ gestartet. Schauen Sie doch mal rein: https://wettbretter.de/
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